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Die große Rede

Helena P. Blavatsky

Aus: "Die Leuchte Asiens"
von Edwin Arnold.

In: Tingley, K.: Helena Petrowna Blavatsky.
Ein Genius verändert die Welt.
Hannover 1992, S. 312

 

Om, Amitaya! Miß mit Worten nicht,
was unermeßlich. Nur mit Denken steig
ins Unergründliche: Es irrt, wer fragt;
und wer erwidert, schweig!

Es lehrt die Schrift, zuerst war Finsternis,
und grübelnd Brahma in der Nacht allein;
such nicht nach Brahma, nach dem Anfang nicht!
Nicht ihn noch Lichtes Schein.

Wird je ein Forscher sehen ihn mit Menschenaug',
mit Menschengeist ein Sucher je ihn finden?
Doch ob auch Hüll' um Hülle fällt -
dahinter stets bleibt Hüll' um Hülle noch.

Die Sterne ziehn, sie fragen nicht.
Genug, daß Tod und Leben, Freud' und Leid nicht ruhn;
Ursach' und Wirkung und der Lauf der Zeit,
des Seins rastlose Flut,

die immer wechselnd rollt, gleichwie ein Strom, der Well'
auf Well' bald schnell, bald langsam fließt,
derselbe und nicht derselbe von dem Quell,
bis daß er sich ins weite Meer ergießt.

Das dampft zur Sonne auf
und gibt zurück die Well', im Wolkennaß
herniederrieselnd, zu erneutem Lauf
ohn Rast und Unterlaß.

Genug zu wissen ist's: der Schein besteht.
Welt, Erd' und Himmel ew'gen Wechsels Feld,
ein mächtig' Wirbelrad von Kampf und Streit,
das niemand hemmt noch hält.

Nicht betet! Kein Geber erhellt die Nacht!
Nicht fraget! Ew'ges Schweigen bleibt stumm!
Quält traurig nicht den Sinn mit frommer Pein!
Ihr Brüder, Schwestern, um,

hilfloser Götter Gnade flehet nicht
mit Hymnen, Früchten, Backwerk oder Blut!
Ihr seid euch Kerker selbst - ein jeder such
in sich der Freiheit Gut!

Ein jeder hat die höchste Herrschgewalt;
bei Mächten droben, drunten, allezeit,
bei allem Fleisch und aller Kreatur,
Tat wirket Lust und Leid.

Zuletzt wird zum Zuerst, die Zukunft kommt,
bald gut, bald schlecht - aus Vergangenheit;
die sel'gen Seelen ernten nur die Frucht
vergangner Heiligkeit.

Es leiden Seelen in der Unterwelt
für Missetaten, deren Zeit verblich;
nichts dauert, Tugend trübt sich mit der Zeit,
und Sünde läutert sich.

Wer sich als Sklave mühte, wird vielleicht
als Fürst einst ernten frommen Lebens Saat;
wer König war, büßt nun in Lumpen,
was einst er unterließ und tat.

Wohl mögt ihr höher heben euch als Gott
und tiefer sinken als der Wurm, die Mück';
Myriaden Seelen legen diesen Lauf,
Myriaden ihn zurück.

Allein, wie unsichtbar das Rad sich dreht,
kann Frieden nicht, noch Rast, noch Ruh' erstehn;
wer steigt, muß fallen - steigen, wer da fällt,
wie sich die Speichen drehn! -

Lägt ihr gebunden auf des Wechsels Rad
und gäb es keinen Weg, euch zu befrein;
dann wär ein Fluch das Wesen allen Seins,
das Leben Höllenpein.

Gebunden seid ihr nicht! Die Welt ist schön,
das Wesen allen Seins ist Himmelsruh';
das Weh' bezwingt der Wille;
Gutes reift dem Bessern, Bestes zu.

Ich, Buddha, weinte einstmals mit der Brüder Schar,
das Weh der ganzen Welt brach mir das Herz;
jetzt lach' ich freudig, denn Befreiung gibt's!
Ihr, die ihr leidet Schmerz,

ihr leidet durch euch selbst, kein andrer zwingt,
kein andrer hält euch, daß ihr sterbt und lebt;
daß ihr des Rades Speich' umarmt und küßt,
an der ihr wirbelnd klebt.

Der Tränen Band, die Hab' der Nichtigkeit.
Ich sag' euch, tiefer als die Hölle, thront
am Himmel höher, jenseits aller Stern'
und fern, dort Brahma wohnt.

Vor allem Anfang, ohne End', gewiß
mit Sicherheit und ewig wie die Welt,
gibt's eine Macht, die stets zum Guten treibt,
nur ihre Satzung hält.

Ihr Finger rührt die Rosen, daß sie blühn,
die Lotosblätter bildet ihre Hand;
sie webt in dunkler Erd', in stiller Saat,
des Frühlings Prachtgewand.

Sie malt der Abendwolken Glanz, des Pfau'n
smaragdbesetztes Rad ist ihr Besitz;
auf Sternen wohnt sie, ihre Diener sind
der Regen, Wind und Blitz.

Sie formt aus dunklem Stoff das Menschenherz,
auch Muscheln; bunt Gefieder dem Fasan;
am Werk beständig lenkt sie Rach' und Grimm
auf holde Friedensbahn.

Das graue Ei des Kolibri
ist ihr ein Schatz; ihr Honigmagazin
die Bienenzelle; Gems und Taube weiß,
wo ihre Wege ziehn.

Sie breitet aus zum Flug des Aares Schwing',
wenn heim mit Beut' er eilt; die Wölfin bei
den Jungen hält sie fest; Verhaßtem schafft
sie Speis' und Freundestreu'.

Nichts stört noch hindert sie bei ihrem Werk,
es liebt sie alles; sie legt lind und licht
die Milch in Mutterbrust; wirkt auch den Saft,
womit die Schlange sticht.

Am unbegrenzten Himmelsbaldachin
schafft sie der Sphären ew'ge Harmonie;
im tiefen Grund der Erde birgt sie Gold,
Silber, Saphir, Lazuli.

Was heimlich wuchs, zieht sie ans Licht empor;
im Grün des Hains sie haust, gibt ihr Statt
an Zederwurzeln Pflanzen wunderbar,
ersinnt Halm, Blüt' und Blatt.

Sie schlägt und heilt, bewegt nur, des Geschicks
Geweb' zu wirken; Lieb' und Leben dran
die Fäden sind, des Schiffchens Arbeit wird
von Tod und Pein getan.

Sie webt, trennt auf und bessert alles aus;
was sie gewirkt, ist schöner als zuvor;
nur langsam wächst des prächt'gen Musters Plan,
das sich ihr Geist erkor.

So wirkt sie an den Dingen, die ihr seht;
doch unsichtbar noch mehr; gebunden hält
des Menschen Herz der Völker Denken;
das GESETZ, der Herr der Welt.

Unsichtbar hilft es euch mit treuer Hand,
hört ihr's gleich nicht, doch spricht's im Sturm euch an.
Der Mensch hat Lieb' und Mitleid,
weil im Kampf das Chaos Form gewann.

Verachtet ist's von keinem, denn wer es bekämpft,
verliert, und wer ihm dient, gewinnt;
verborg'ne Guttat lohnt's mit Ruh' und Glück,
mit Qual verborg'ne Sünd'.

Es sieht allüberall und merket wohl;
tu recht und es belohnt; tu Unrecht - dann
du wohl die Schuld bezahlen mußt, wenn auch lang'
das Dharma zögern kann.

Nicht Zorn, noch Gnade kennt's; es mißt sein Maß
untrüglich, fehlerlos ist seine Waag';
Zeit gilt ihm nichts; es richtet morgen wohl,
vielleicht nach manchem Tag.

Des Mörders Dolch kehrt's gegen ihn allein,
wer richtet falsch, verliert das Heil im Leben,
den Lügner straft die Lüge selbst, der Dieb
raubt nur, um es zurückzugeben.

Dies, das GESETZ, es wirkt Gerechtigkeit,
niemand entgeht ihm, keiner hemmt's zuletzt;
sein Grund ist Liebe, und sein Ziel
Fried' und Vollendung. Ihm gehorchet jetzt!

Die Schrift hat, Brüder, recht: Des Menschen Sein
als Folge geht auf früheres Sein zurück;
vergangner Sünd' entsprießen Sorg' und Leid,
vergangner Guttat Glück.

Ihr erntet, was ihr sät. Seht jenes Feld!
Sesam war Sesam, Korn aus Korn entsproß.
Die dunkle, stille Tiefe kannt es wohl!
So keimt auch Menschenlos.

Er kommt und erntet, was er einst gesät,
soviel, wie er gestreut in früherm Sein
an Korn sowie an Unkraut und an Gift,
ihm und der Welt zur Pein.

Wenn er sich müht, das Unkraut jätet recht,
heilkräft'ge Pflanzen setzt an seinen Platz;
dann wird die Erde fruchtbar, schön und rein
und reich der Ernteschatz.

Wenn, wer da lebt, erkennt der Leiden Quell
und duldend harrt, die große Schuld bestrebt
für Sünden alter Zeiten zu zahlen, sowie
in Lieb' und Wahrheit lebt;

wenn niemand er beraubt und gründlich sich
von Lüg' und Selbstsucht reiniget sein Blut,
in Sanftmut leidet, für Beleidigung
als Antwort Gutes tut;

wenn allezeit er sich erbarmungsreich erweist,
gerecht, fromm, mild und wahr; sich aus der Brust
die Sünde mit den Wurzeln blutend reißt,
bis endet Lebenslust:

dann - sterbend - als des Daseins Summe läßt
die Rechnung er beglichen, sündenrein,
und reich an guten Taten;
deren Lohn wird dann sein eigen sein.

Nicht mehr bedarf er, was ihr Leben nennt,
das, was in ihm begann, als er begann,
ist aus, erfüllt hat er den Zweck von dem,
was ihn gemacht zum Mann.

Ihn wird kein Schmerz mehr quälen, Sünde nicht
beflecken, ird'scher Lust und Leiden Heer
ihm ew'gen Frieden stören; nicht zurück
kehrt Tod und Leben mehr.

Ein geht er ins NIRVÂNA, selig eins
mit allem Leben; selbst doch lebt er nicht.

Om, mani padme, om.
Der Tropfen Tau rinnt in ein Meer von Licht.

 

Lotos


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